Hochwasser in Starnberg: So ist die Lage im Fünfseenland (2024)

Gummistiefel, nasse Jacke und Regenhut: So steht Taj Blaschke am Montagnachmittag in ihrer Garage in der Starnberger Wassersportsiedlung. Das Wasser schwappt ihr bis knapp an die Obergrenze der Stiefel. Jeans, Socken und Innenfutter sind trotzdem längst durchnässt. Eine Wasserpumpe rauscht. So schlimm, sagt Blaschke, sei es zuletzt nur 1999 und 2010 gewesen.

Eigentlich haben sich die Bewohner der Siedlung gegen Überflutung mit einer Art Schutzmauer abgesichert. Doch just zum Dauerregen hatte ein Nachbar eine Baustelle bei sich offen. Und so floss das Wasser mehr oder weniger ungehindert in Blaschkes Garage. Seit Jahrzehnten schon lebt sie hier am Starnberger See. Dem glitzernden Wasser so nah, dass es nicht viel braucht, dass dieses aus seiner Schleife gen Würm über die Ufer tritt.

Traditionell ist die Siedlung als erste von hohen Pegelständen des Sees betroffen. Die 1934 bis 1936 auf Betreiben der Nazis einst als Sport- und Feriensiedlung für verdiente Parteigenossen konzipierten Häuser am Starnberger Ortseingang trifft das Hochwasser regelmäßig. Zwar ist dauerhaftes Wohnen dort nicht erlaubt. Doch die meisten Eigentümer haben die ursprünglich simplen Holzhütten zu schmucken Häusern ausgebaut und sich dementsprechend gegen die Fluten gewappnet. Zumindest, wenn nicht gerade ein Loch in der Schutzmauer prangt.

Wenige Meter von der Siedlung entfernt erreichte der Starnberger See am Montag erwartungsgemäß die erste kritische Marke von 584,2 Meter über Normalnull. Der Wasserpegel stieg auf 1,21 Meter über das normale Niveau. Der Starnberger See ist eine Wundertüte, wenn es um Starkregenereignisse geht. Er wird von diversen unterseeischen Zuflüssen und Quellen gespeist. Deren Wasserzufuhr lässt sich kaum abschätzen. Lokale Regengüsse wirken sich deshalb viel stärker aus als bei Gewässern, die von Flüssen aus einem größeren Einzugsgebiet gespeist werden. Die Rekordmarke wurde am 14. Juni 1965 erreicht mit 1,60 Meter über dem Normalpegel und am 8. August 2010 mit 1,52 Meter. Beim Pfingsthochwasser am 4. Juni 1999 stieg der Pegel am See 1,44 Meter höher als normal.

Und so schwollen auch Georgenbach und Lüßbach kurzzeitig an. Die Stadt Starnberg sperrte bis auf Weiteres den Wanderweg durch die Maisinger Schlucht. In einigen Wohngebäuden drückte das Grundwasser in Kellerräume.

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Das Hochwasser am See hat auch Auswirkungen auf die Anrainer-Gemeinden der Würm. In Leutstetten wurde am Samstag kurzzeitig die Meldestufe 2 mit 1,71 Meter über dem Nullpunkt erreicht, am Montag sank der Pegel auf 1,62 Meter. Das Leutstettener Moos wirkt dabei wie ein Schwamm, zudem ist die Fließgeschwindigkeit der Würm nur gering. Der knapp 40 Kilometer lange Fluss fließt durch Gauting, Stockdorf, Krailling, Planegg, Gräfelfing und Obermenzing und mündet bei Dachau in die Amper, die wiederum bei Moosburg in die Isar mündet.

Der Ammersee hat bereits in der Nacht zum Sonntag die Meldestufe 1 überschritten und steigt weiter bedrohlich an. Am Montagabend fehlten noch 20 Zentimeter bis zur Stufe 3, dann sind am Südufer auch das Strandhotel und die Sportgaststätte in Dießen von Überschwemmungen bedroht. Die Ammer führt dem See immer noch gewaltige Wassermassen zu: Im Verlauf des Montags wurde in Weilheim ein neuer Höchststand gemessen, der nach zwischenzeitlichem Rückgang den maximalen Pegel vom Samstag noch einmal um 50 Zentimeter übertraf.

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Katastrophenschutz

:Krisenstab koordiniert Einsätze

Feuerwehren und Hilfsdienste rücken etwa 300 Mal aus.

Dießens Feuerwehr hatte am Wochenende etwa 25 Einsätze zu bewältigen, darunter meist vollgelaufene Keller. Da blieb noch Zeit, die Kollegen im nördlichen Landkreis Landsberg zu unterstützen, die zunächst stärker vom Hochwasser betroffen waren. Wie Kommandant Florian König berichtet, transportierten zwei Teams seiner Leute die in Dießen stationierte Sandsackfüllanlage nach Pürgen und halfen dort beim Befüllen mit. Es seien aber noch genügend Sandsäcke in Dießen verblieben.

Während in den höheren Lagen des Alpenvorlands am Montag erneut große Niederschlagsmengen registriert wurden (in Bad Tölz etwa 100 Liter pro Quadratmeter), regnete es im Fünfseenland relativ mäßig: In Rothenfeld bei Andechs wurden zehn Liter pro Quadratmeter gemessen – während es von Freitagmittag bis Sonntagfrüh ganze 140 Liter pro Quadratmeter waren.

Entsprechend groß war die Erleichterung am Montag in Tutzing: Nur vier Keller waren in Traubing vollgelaufen, teils bis 2,50 Meter hoch. Ansonsten ist es trotz Dauerregens nicht so schlimm gekommen wie befürchtet. Das lag auch an der Hilfsbereitschaft der Leute: Neben den 60 Einsatzkräften waren weitere 60 Freiwillige gekommen, um Sandsäcke zu befüllen. „Eine super Zusammenarbeit“, lobt Bürgermeister Ludwig Horn (CSU), der als freiwilliger Feuerwehrler selbst im Dauereinsatz war. Dieser wurde den Helfern von den Bürgern im Ort nicht nur mit Gulasch und Brotzeit, sondern auch mit einem spontan umgewidmeten Geburtstagskuchen versüßt.

Traubing liegt in einer Senke, zudem fließen hier Deixlfurter Bach und Schwarzer Graben zusammen. Das macht den Ort immer wieder anfällig für Hochwasser. Viele kleinere Schutzmaßnahmen sollen die Fluten weg von den Häusern halten. So wurden Querschnitte von Brücken und Unterführungen erweitert und Absetzbecken eingerichtet sowie Mauern erhöht. Die Frage nach größeren Lösungen mit Dämmen oder einem Rückhaltebecken wird seit Jahrzehnten diskutiert.

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Es geht um Grundstücksverhältnisse, Geld und die Frage, was dem zunehmenden Starkwetter am ehesten gerecht wird. „Da werden wir in die nächste Diskussionsrunde gehen müssen“, sagt der Traubinger Feuerwehrkommandant Franz Matheis. Das sieht auch Bürgermeister Horn so. Er kündigt an, zu dem Thema mit den Bewohnern ins Gespräch zu gehen. „Da müssen die Bürger im Gesamten mitmachen“, sagt er. Derweil sollen die 2000 trocken gebliebenen Sandsäcke nun an die schlimmer betroffenen Gebiete weitergegeben werden, um dort das Wasser zurückzuhalten.

Wie sich die Lage entwickelt, hängt von den meteorologischen Ereignissen der kommenden Tage ab. Insbesondere Dauerregen hätte fatale Folgen: Die Böden sind durchtränkt, der Grundwasserstand bleibt hoch. Lokal begrenzte Unwetter lassen dagegen eher kleinere Bäche in Windeseile anschwellen. Erwartet wird, dass der Pegel des Starnberger Sees in den kommenden Tagen weiter steigt. Der einzige Abfluss an Bayerns zweitgrößtem und wasserreichstem Gewässer über die Würm ist schlicht zu gering. Mindestens vier bis sechs Wochen wird dieser Zustand erfahrungsgemäß anhalten, selbst unter günstigen Umständen sinkt der Pegel des Starnberger Sees täglich bestenfalls um einen Zentimeter.

Keine guten Aussichten für Taj Blaschke und ihre überschwemmte Garage. Ihr Schwiegersohn ist am Montag gekommen und auch die Nachbarn helfen. Gemeinsam füllen sie Sandsäcke, um den Wassermassen Einhalt zu gebieten. Drei Zentimeter mehr und das Wasser stünde im Haus. Blaschke hat nur einen Wunsch: dass der Regen endlich aufhört. Etwas hoffen darf sie. Für den Dienstag wird zumeist trockenes Wetter erwartet.

Weil die Abwasserkanäle sehr stark belastet sind, bittet die Integrierte Leitstelle in Fürstenfeldbruck alle Bürger im Landkreis Starnberg, bis mindestens Dienstagmittag möglichst auf Duschen und Baden zu verzichten und auch Waschmaschinen und Spülmaschinen erst wieder anzustellen, wenn die Lage sich entspannt hat. Andernfalls könnte sich Wasser stellenweise bis in Wohngebäude zurückstauen.

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